Web Summit 2016 – spannende Stecknadeln aus Europas größtem Konferenzheuhaufen

Was 2009 als kleines Treffen in Dublin begann, ist heute mit 53.000 Besucher:innen zur größten europäischen Tech-Konferenz gewachsen. Aus Platzgründen heuer erstmals nach Lissabon übersiedelt, ist der Web Summit mit Ausstellern, Start-Up Ständen, seinen 21 teilweise parallelen inhaltlichen Streams und nicht zuletzt Keynotes in einer riesigen Konzerthalle damit ein Monstrum von einer Konferenz, in der man sich leicht verlieren kann.

Was man vom Web Summit bestens mitnehmen kann, sind kurze Impulse zu den aktuell heißesten Tech-Themen. Die internationale Wertigkeit unterstreichen Auftritte des halben C-Levels von Facebook / Amazon / Google und diverser anderer Silicon Valley-Größen ebenso wie die Präsenz von Politiker:innen, Sportler:innen und Kreativen. Und damit ist es der richtige Ort, um sich einen Überblick zu verschaffen, Inspiration aufzusaugen und Themen selbst zu vernetzen. Wer vertiefendes Lernen erwartet, ist hier falsch. Und alles zu sehen, ist sowieso unmöglich.

Dass solche Konferenzen heute von Robotik, Virtual Reality, Artificial Intelligence, Internet-Geschäftsmodellen und Entrepreneurship dominiert sind, ist nicht weiter überraschend. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb funktioniert der Web Summit dort am besten, wo er scheinbare Gegensätze auf die Bühne holt – etwa wenn der griechische Ex-Premier Papandreou mit der CEO von Eventbrite über Führung diskutiert oder wenn der Social Media Bischof des Vatikans sich mit der Managerin des Burning Man Festivals über Communities austauscht. Und wer sich eher ins Gewissen reden lassen möchte, ist bei einer Unternehmer-Rampensau wie Gary Vaynerchuck immer richtig.

Bemerkenswert war auch, dass die soziale Verantwortung zum Top-Thema avanciert (nicht zuletzt durch die Trump-Wahl mitten in der Woche). Ein paar Beispiele aus den Diskussionen:

  • Lässt sich der technische Fortschritt aufhalten? Sicher nicht. Je mehr Menschen sich damit auseinandersetzen, desto eher wird er steuerbar bleiben.
  • Schaffen soziale Netzwerke eine Blase? Eher ja, aber das tun Freundeskreise ja grundsätzlich auch.
  • Haben Netzwerke eine Verantwortung für ihre Inhalte? Ja, und sie müssen dafür viel und schnell lernen.
  • Wird es einheitliche moralische Regeln geben, etwa in Netzwerken oder bei der berühmten Frage, welches Unfallopfer sich ein selbstfahrendes Auto „aussuchen“ würde? Nein. Wieso auch, die Kulturen und Wertesysteme sind auf der Welt ja auch nicht überall gleich.
  • Wo wird Diskurs zwischen auseinanderdriftenden Gesellschaftsteilen stattfinden? Hoffentlich über gemeinsame gesellschaftspolitische Projekte und nicht zwischen Fake News und Katzenvideos.
  • Dienen Internetservices überhaupt noch den Nutzern? Gefährlicherweise oft nicht mehr. Weil Medien wie Youtube oder Datingplattformen gar kein Interesse haben können, die User:innen zufrieden zu machen, sondern eher zwecks Werbeschaltungen möglichst lange mit der Aufmerksamkeit spielen.

Womit wir schon bei Designthemen sind, die in den Marketing- und Kreativ-Teilkonferenzen breiten Raum finden. Ein paar Erkenntnisse daraus:

  • Design wird immer mehr als Kernkompetenz von Unternehmen erkannt und deshalb auch intern aufgebaut (oder neue Kooperationen gesucht). Das krempelt die Agentur- und Beratungsbranche um (frogdesign)
  • Das Design muss wieder mehr dem Nutzer dienen. Dafür entstehen Initiativen, um UX-Ansätze und Geschäftsmodell zu überdenken („Time well spent“ Initiative)
  • Design Thinking Methoden werden sehr breit eingesetzt – Interesse am echten Need, gemeinsames Arbeiten mit Kund:innen und transparente Entwicklungsprozesse sind große Erfolgsfaktoren (ideo)
  • Nur im Kundenwunsch verlieren darf man sich aber nicht. Wer weit in die Zukunft denkt, darf sich auch selbst einmal Herausforderungen setzen – etwa die Entwickler von Concept Cars, die eigene Mitarbeiter:innen und Kund:innen inspirieren sollen (magnolia)
  • Aber auch Entwickler starker Marken haben erkannt: Die Marke gehört den Kund:innen und unterstützt sie, ihr eigener Held zu werden (Wolff Olins)
  • Und auch in der Marketing-Branche werden neue technische Möglichkeiten Einzug halten: es wird möglich, aus Gesichtern automatisiert Emotionen zu erkennen (affectiva) oder AI-Systeme zu bitten, ein paar Designvorschläge auszurechnen um dann daraus als menschliches Team wählen zu können (Autodesk)

War das alles? Sicher nicht. Aber das ist wie gesagt unmöglich zu fassen. Und auch gar nicht Anliegen der Konferenz. Seit die Idee in irgendeinem Pub entstanden ist, setzt der Web Summit nicht zuletzt auf Vernetzung durch soziale Aktivitäten und persönliche Erlebnisse – ob gemeinsame Surf-Ausflüge, City Walks oder nächtliche Partyzonen in der Stadt. Wo sonst würde man sich am Abend in einer Runde von rumänischen StartUp Gründerinnen, einer dänischen Designerin, einer polnischen Coderin und einem amerikanischen Journalisten in einer traditionellen Fado-Bar wiederfinden, um weinselig über die Entwicklungen der Welt zu sinnieren? Eben. Das Ticket für nächstes Jahr ist schon gebucht.